Wir hatten mittelmäßig gut geschlafen. Natürlich kam heute kein Regentröpfchen herunter, da wir einmal ein robustes Dach über uns gehabt und eine kleine Abkühlung der Luft als wirklich erfrischend empfunden hätten. Gute Einhundertfünfzig Meter zu unseren Köpfen bollerte und quietschte und warnsignalisierte die indische Bahn alle halbe Stunde über die Gleise und in gleicher Entfernung zu unseren Füßen ratterten und hupten die klapprigen LKW über den holprigen Belag des Highways – Nachtruhe klingt anders. Aber wir hatten unseren Frieden…worüber wollen wir und also beschweren? Jedenfalls hat uns die Nacht soweit wieder besänftigt, dass wir zu den Schluss gekommen waren, Indien noch eine neutrale Chance zu geben.
Und der Tag ging wirklich gut los! Wir wachten mit dem vertrauten Summen eines Elektrorasenmähers auf, über uns strahlte der hellblaue Himmel mit ein paar weißen Schäfchenwölkchen und auf dem Highway überholten sich jetzt geschäftige Traktoren oder pflügten gleich neben der Straße die Felder. Es fühlte sich ein bisschen an wie daheim! Wir hatten heute einen Straßentag vor uns, wenn man so will: Nebensträßchen gab es nicht, es blieb uns also nur der sogenannte Highway. Das bedeutet: Wer den nehmen will, muss seine Karre mit mindestens der dreifachen Fahrzeugbreite aufladen, sonst zählt es nicht als „high“-waytauglich! Es war jedenfalls ein fröhlich beschwingter Vormittag inmitten all der unterschiedlichen Gefährte: Autos, Kleinbusse, Laster, bis unter`s – Verzeihung: über´s Dach – vollgestopfte Reisebusse, Disco-Tuc Tucs, Fahrradfahrer, zweireifige und dreireifige mit einer Million Flechtkörben auf der Ladefläche, Ochsenkarren, Frauen mit Grasbüscheln auf dem Kopf, Fußgänger, Maiskolbenverkäufer und jede Menge Motorradfahrer mit manchmal einem, manchmal zwei und meistens drei jungen Kerlen drauf.
Es gefiel uns trotz der Lautstärke des Verkehrs ganz gut, denn auf der belebten Straße tun sich die Vorbeifahrer nicht ganz so leicht, stehenzubleiben um uns anzugucken, wenn wir kurz halten müssen. Doch manche sind so dreist, dass sie sich nicht Mal vom brummenden Verkehr abhalten lassen, uns auf den Sack zu gehen. Wir hatten gerade für eine kurze Pipipause gehalten, fuhr ein Typ an uns vorbei, der mir während der Fahrt in typisch Indisch-Englisch zurief: „Want to have Sex with me? I want to fuck you!!!“ …ich war so perplex, dass ich ihm gerade noch den rechten Mittelfinger zustrecken konnte. Ein bisschen krass fanden wir das schon, nahmen es dann aber mit Humor. Doch keine Fünf Minuten später überholte er uns wieder und rief mir nochmal zu: „I want to fuck you!“ Das sind so Momente, in denen sich mein Humor langsam dann doch verabschiedet. „Dich, wenn ich erwisch´!“, schoss es mir durch den Kopf und in Gedanken plante ich schon, was ich mit dem in diesem sehr unwahrscheinlichen Falle alles machen würde. […] Hehe, ja ja, wiiie gern hätte ich so Einen mal zwischen die Finger bekommen – glaubt mir: Den hätte ich durch gelassen! Aber was will man tun? Auf seinem Motorrad ist dieser Typ ja schlicht und einfach am längeren Hebel und nicht greifbar!
Unsere Mittagspause verbrachten wir auf einer saftigen Grünfläche im Schatten ein paar großer Bäume – direkt am Straßenrand. Wir setzten uns auf den Boden und aßen Fladenbrot aus dem Tandoor-Ofen mit Tomaten und Zwiebelringen. Und gerade, als ich zum ersten Bissen ansetzte, geschah das schier Unfassbare! Der Typ rollt zum dritten Mal an, bleibt glatt am Straßenrand stehen und erdreistet sich zum dritten Mal mit diesem „I really want to fuck you!“. Das war meine Chance! Der Himmel hatte meine Rachefantasie wohl erhört (und gemocht) und mir den Vogel nochmal zugespielt. „Hmm, ok! Why not? Come!“ erwiderte ich auf sein Angebot. Da konnte ich in seinen Auggen schon die Dollarzeichen sehen: Ring, ding, ding, ding ding! „Really?“ fragte er. „Sure!“ lächelte ich ihm zu. Dann stellte er den Motor ab, zog den Schlüssel und machte sich auf zu unserem Picknickplatz. Doch auf halber Strecke sah er zufällig mein Pinkes Messer, das ich vom Tomatenschneiden noch in der Hand hatte. Da zweifelte er und stoppte abrupt. Und genau dieser war mein Moment! Ich sprang auf! Er ergriff sofort die Flucht zurück zum Motorrad. Aber ich rannte ihm hinterher und erwischte ihn gerade, als er auf seine Karre aufspringen wollte. Doch ich war schneller! Und ich haute ihm ein paar dermaßen auf die Rübe, dass er mit wehenden Fahnen den Seitenstreifen verließ – in entgegengesetzter Fahrtrichtung! Und Gott sei Dank: Er hat sich den ganzen Tag nicht mehr blicken lassen!
Also da frage ich mich: Was hat sich der denn eigentlich erwartet? Hat der wirklich geglaubt, ich bedeute ihm zwei Mal mit Kraftausdrücken ein klipp und klares „Nein!“ und beim dritten Mal schieben wir dann doch schnell ein Lunch-Nümmerchen am Straßenrand oder wie? …nicht zu fassen!
Moradabad (Hotel Drive-In 24)
Tages-Km: 71,24km / -Zeit: 4:08h / -Höhenmeter: 97m
Gesamt-Km: 8..279km / -Zeit: 577:30h / -Höhenmeter: 78.696m
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