Aufgewacht, aufgepasst, streng bewacht! Ich habe auf so etwas wie einer Müllhalde gepennt. Nicht so schlimm, wie ihr jetzt denkt! Aber auch kein botanischer Garten. Nebenan war das Karak Krankenhaus, stabil eingezäunt mit oben drei Lagen Stacheldraht. Und von dort hinter dem Zaun hat mich – kaum, dass ich aus dem Zelt geschlüpft war – einer von einem turmartigen Gebäude gesehen. Das heißt: Nicht mehr abgelassen, mich anzustarren. Und das heißt auch, dass innerhalb der nächsten Viertelstunde noch Zwei Männer gekommen sind, um dasselbe zu tun. Und um dem ganzen einen offiziellen Charakter zu geben meinte doch glatt der nächste, ich solle diesen Platz bitte verlassen. Das sei Krankenhaus-Zone. Ich lachte ihn aus und war Gott sei Dank ohnehin schon auf dem Sprung!
Ich fuhr fröhlich los und traf als bald eine Entscheidung, die ich im Nachhinein nie mehr so treffen würde! Ich beschloss, den landschaftlich um ein Vielfaches schöneren „Kings Highway“ zu verlassen und die letzte Etappe bis zum Flughafen auf dem „Desert Highway“ zurückzulegen. Der Grund war einfach: Auf dem Kings Highway erwartete mich noch ein weiteres, tiefes Tal, das von den gut Dreizehnhundert Metern Höhe auf fast Zweihundert Meter hinunter führte. Das wär´s ja nicht gewesen. Aber das alles wieder hinauf? Nein, nein, noch einen Tag voller Gedanken an Fresszeug wollte ich mir nicht antun! Da hatte ich lieber ein bisschen mehr Zeit für den Kauf meines Flugtickets nach Indien. Also rauf auf die Wüstenautobahn!
Zunächst war da eh nur der Zubringer. Supergeil! Fast ausschließlich leichtes Bergab und Rückenwind – es ging wie im Flug dahin! Doch dann kam die große Wendung: Zuerst wurde alles viel lauter: Das Rauschen des Windes und der Fahrzeuglärm in Kombination ließen Musikhören schlicht unmöglich werden! Auf dieser Straße wurden die ganzen Container, die unten im Süden in Aqaba vom Schiff genommen wurden, nach Norden transportiert. Ein LKW nach dem anderen raste an mir vorbei. Und jeder zweite hupte vor Begeisterung über die pinke Box im grauen Brummifahrer-Alltag. Und dazu hatte sich der straffe Rückenwind jetzt durch den Richtungswechsel in straffen Seitenwind von links gewandelt. Das war wirklich kein Spaß! Ich hatte es euch ja schon einmal beschrieben: Jedes Mal, wenn ein großes Fahrzeug an mir vorbeifuhr, schubste mich dessen Druckwelle erst mal nach vorne Rechts bevor es mich mit voller Wucht gegen seine Vierte Achse sog. Das Ganze wurde durch den Seitenwind noch dahingehend verstärkt, dass ich durch den Windschatten der überholenden Fahrzeuge erstmal in ein Loch viel, wo ich sonst stark gegen den Wind zu lenken hatte. Und gleichzeitig kamen die Laster selbst ins Schlingern, weil die hohen Container dem Wind eine ordentlich große Angriffsfläche entgegenhielten. Es kam also immer mal wieder ein Brummi verdächtig nahe! Und gegen Ende des Tages, als ich schon „auf den Felgen“ daher kam, krönte dieses Spielchen noch ein Wüstenphänomen: Windhosen! Die erkannte man schon von Weitem an den Sandschwaden, die bisweilen die Sicht zur Gänze einschränkten! Diese wanderten links von der Wüste herüber und erreichten schließlich die Straße. Ich hatte zuerst angehalten, weil ich mir nicht sicher war, wie sich diese Staubwolken anfühlen würden, wenn man mitten reinfährt. Doch als ich da so stand, meinte ich, mir noch einen Denkfehler erlauben zu müssen: Das bisschen Sand; wozu habe ich denn so eine gute Brille? Ich stieg auf und keine Zehn Meter später lupfte es mich schon vom Rad. Es ist mir bis heute unerklärlich, wie ich mich mit nur noch den Zehenspitzen meines rechten Fußes in dieser knackigen Böe vom Umfallen retten konnte! Klar: Wenn den ganzen Tag starker Wind weht, dieser aber keinen Sand transportiert, dann wird wohl der Wind, der den Sand vom Boden aufzuheben und in der Luft zu halten vermag ein bisschen stärker sein! …jetzt weiß ich das. Und ich werde es wohl nicht so schnell wieder vergessen! Nur gut, dass ich fast eine ganze Spurbreite – den Seitenstreifen – für mich alleine hatte. Bis zur Hälfte der Strecke zumindest…
Dort war nämlich das Ende des ausgebauten, neu asphaltierten Autobahnabschnitts! Und das hieß im Klartext: Der Seitenstreifen ist plötzlich längs-gerillt und dick mit Kies eingerieselt. Und in regelmäßigem Abstand lagen jetzt tote Hunde und explodierte LKW-Reifen auf meinem Weg. Und weiterhin bedeutete dies, dass die Fahrbahn der motorisierten Fahrzeuge schlicht uralt und durchgeritten war: Dicke, tiefe Risse und Wannen bis hin zu Zwanzig Zentimetern tiefe Löcher waren an der Tagesordnung. Das verstärkte nochmal den Lautstärkepegel um mindestens das Doppelte, wenn alle Sieben Achsen mit bestimmt nicht nur Hundert Km/h Speedlimit an mir vorbei brachen. Zum ersten Mal auf dieser Reise war mir Himmelangst um mein sagenhaft tolles Leben und ich habe nicht nur einmal zu Gott um das Überleben dieses Tages gebetet! Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich gerne die paar Hundert zusätzlichen Höhenmeter des Kings Highways in Kauf genommen!
Ich beschloss, für euch ein paar Bilder zu schießen und ein kleines Video zu drehen. Denn in Worten kann man das nicht annähernd so beschreiben, wie es sich in Wirklichkeit anfühlt. Und selbst ein Video kann es nicht wirklich…
https://www.facebook.com/photo.php?v=1631977877061399
Doch kaum hatte ich dass getan, schoss es mir durch den Kopf: Ob Gott damit wohl einverstanden wäre? Da bete ich schon zu ihm, dass er mir hier heraus hilft und dann bleibe ich auch noch stehen, um für euch ein paar spektakuläre Bilder zu schießen anstatt mich mit allen Kräften schleunigst von diesem heißen Pflaster zu kneten. Doch kaum hatte ich das fertig gedacht, passierte das schier Unglaubliche: Gerade als ich die Kamera eingepackt hatte, stach ein LKW wie von Sinnen durch die Löcher neben mir im Asphalt. Und gute Zweihundert Meter vor mir kam er ins Schlingern, war schon auf dem Mittelstreifen und verlor ein Stück Holz. Ein Balkenabschnitt von gut Achtzig Zentimetern Länge und im Querschnitt gute Vierundzwanzig auf Vierzehn. Dieses „Hölzchen“ sprang munter wie ein Flummi von der linken Fahrbahn auf die rechte, schlug gute Zwei Meter über dem Erdboden noch ein paar Purzelbäume bis er schließlich über den Seitenstreifen in den Straßengraben sprang. Dann begann der linke, hintere Reifen des Fahrzeugs böse zu qualmen. Als ich ein paar Augenblicke später an dem Karren vorbeifuhr, bekam ich die Erklärung: Die Radaufhängung war wohl irgendwie defekt geworden. Da hatten die Vollpfosten muss ich schon sagen, den Reifen mit einem Seil und wohl dem Stück Balken hochgebunden. Und als sie dann mit voller Wucht in die Vertiefung im Straßenbelag gerauscht sind, ist das Holz herausgesprungen, der Reifen runtergekracht und das ganze Gefährt munter aus der Spur gekommen. Und dann fiel mir ein, was wohl passiert wäre, wenn ich die Bilder nicht für euch geknipst hätte….ich wäre nämlich um genau die besagten Zweihundert Meter früher dran gewesen!
Hinter der nächsten Kuppe, nachdem ich mich bei meinen Schutzengeln bedankt hatte, sah ich zwei weiße Tauben vom rechten Straßenrand wegfliegen und im Horizont verschwinden. In der Wüste! Tauben! Ich sah das als Zeichen dafür, dass die Gefahr des Tages jetzt überstanden war und die zusätzlichen Schutzengel jetzt in den verdienten Feierabend geflogen sind. Ich fühlte mich ein bisschen sicherer. Auch, weil jetzt die Straße wieder besser geworden war und ich wieder meinen ganzen Seitenstreifen für mich hatte. Nach diesem Erlebnis konnte mich das nächste Verrücktum, das noch auf mich wartete, schier nicht mehr aus der Fassung bringen: Ich hielt an einem kleinen Kiosk an um mir nach überstandenem Schreck ein bisschen Flüssigzucker in Form von Pepsi zu gönnen. Als ich diese bezahlte, hielt ich dem Verkäufer drei Münzen entgegen und als er sie nahm, umfasste er mit seiner kalten Hand meine Fingerspitzen. Ich stutzte ein bisschen und zog dann mit einem energischen Ruck meine Hand aus der seinen. Da sah ich über den Tresenrand, dass seine andere Hand bereits lüstern seine Nudel knetete! Also echt! Ich zeigte ihm nur meinen Mittelfinger aber er schloss genüsslich seine Augen und hauchte nur ein „Aaaah, beautiful!“ in meine Richtung. Aha, ein Kompliment also. Dann kam zum Glück ein weiterer Kunde – woher auch immer! Ich packte die Gelegenheit beim Schopf und schob schnell mein Rad weiter des Wegs. Doch als der andere Gast abgefertigt war, dauerte es keinen Atemzug mehr, bis sich hinter dem Kioskhäuschen die Hintertür auftat und mir der Heißblütige hinterher pfiff. Ich war ja schon weit genug weg und konnte mich also auch umdrehen. Da zog er vorne seine Hose runter und schaukelte mit entspanntem Grinsen seinen nackigen Pimmel im warmen Wüstenwind auf und ab. …welcome to Jordan!
Amman International Airport (Zelt)
Tages-Km: 102,63km / -Zeit: 6:55h / -Höhenmeter: 674m
Gesamt-Km: 8.042km / -Zeit: 561:09h / -Höhenmeter: 78.178m
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