Die einzige Kraftquelle, die wir gestern noch auf dem Weg fanden, war schon unser Nachtdomizil. Dort zauberte uns die wirklich bemühte und sehr freundliche Nepalesin auf unseren Wunsch eine Fertignudelsuppe. Und noch eine. Die tat gut. Zumindest bis zur Hälfte der zweiten Schüssel… Und dann kam das ´Abenteuer Nacht´! Schon bei unserer Ankunft hatte der Strom einen Aussetzer. In Zwanzig Minuten wird´s wieder gehen, meinte die Hausherrin. Na gut, dann duschen wir eben erst Mal, solange es von draußen noch Licht gibt! Meine Schwester durfte heute zuerst. Und wie durch ein Wunder wollte sie heute Mal nicht ihre Haare waschen! Dann war ich dran: Stinkeklamotten runter, nassspritzen, einseifen, …Wasser geht aus! Wie jetzt? Ich schickte meine Schwester zur netten Dame um sie zu bitten, dass sie da vielleicht einen Hahn aufdreht oder so. Doch die Antwort, die zurückkam, lautete: Wir haben keinen Strom. Das bezog sich hier offenbar auch auf den Wasserstrom in der Leitung! Aber umgehend schafften mir die beiden mit vereinten Kräften einen großen Eimer mit Wasser aus einem anderen Hahn heran. Drin ein kleines Häfelchen, mit dem ich mir jetzt nach gut einer Viertelstunde die juckende Seife vom Leib schwappen konnte. Ich resümiere: Kein Wasser, kein Strom, kein Licht, kein Internet sowieso, kein Ventilator. Aber dafür rudelweise bissige Steckmücken, die sich diebisch über ´die Nacht der offenen Fenster´ freuten! Dazu das Bett so breit wie zwei Biertische und die Matratze hart wie ein Tanzboden. Wie sollte ich als Bauchschläfer denn da den prallen Suppenmagen in den Untergrund pressen?
Man nennt das wohl eine ´harte Nacht´. Denn gerade als wir eingeschlummert waren, kamen neue Gäste. Und die stritten sich gute Zehn Minuten volle Lautstärke mit der Nepalesin…draußen im Korridor, direkt vor unserem geöffneten Fenster. Irgendwann meinte meine Schwester mit weinerlicher, zittriger Stimme: „Die regen mich soooo auf!“ – „Ja geh halt raus und sag´ ihnen, sie sollen leise sein“, gab ich ihr verschlafen und zugegeben etwas lustlos zurück. Da tat es vom Bett nebenan einen schrillen Pfiff und ein „HE!!! Silence!“ und draußen wagte keiner mehr zu atmen. Für Zwei Sekunden. „Naja, so hätte ich es jetzt nicht gemacht“, meinte ich noch superschlau. Doch als das noch ein paar Minuten so weiterging und sich kein Ende abzeichnete, war auch mein Geduldsfaden langsam überdehnt: Ich stand auf, schnappte meine Taschenlampe, riß die Holzür auf, Leuchtkegel nach rechts…, Leuchtkegel nach links… und da hatte ich sie erwischt! Ich schritt zum linken Ende des Flures und fragte den Typen, ob er sich eigentlich nicht leise streiten könnte. Schließlich waren hier noch ein paar mehr Gäste im Haus, die vielleicht gerne schlafen würden. „Ja aber es gab keinen Strom!“, meinte er bestürzt. Ach neee! Es gibt hier auch kein Wasser und kein Licht! Das Einzige, was man hier tun kann, ist schlafen. Und das würde ich jetzt gerne! …er nickte verständnisvoll und nach Zwei Minuten war Stille. Die ganze Nacht lang! Wer hätte das gedacht?
Doch in der Früh, gerade als ich zum ersten Mal richtig tief und entspannt geschlafen hatte nach der übergangenen Müdigkeit am Vorabend, riß mich dieser Vollpfosten mit einem hitzigen Disput am Telefon aus dem Tiefschlaf. Ich war totmüde und hungrig. Und wer mich in dieser Lotto-Sechser-Kombi erleben will, ist wirklich grad selbst schuld. Diesmal schrie auch ich nur vom Bett aus um meine verdiente Nachtruhe. Doch er reagierte erst gar nicht. Wie will man ihm da noch helfen, er will es offenbar so: Ich musste das Bett verlassen. Doch das hat seinen Preis! Ich schnappte mir das Bürschchen und wollte ihm sein Idioten-Phone aus den Griffeln reißen. Doch er umklammerte es wie einen dicken Baumstamm in der reißenden Strömung. Na gut, dann behalt dein Scheiß-Phone, dachte ich mir und schob ihn wenigstens aus dem Flur ins Freie. Doch unterwegs krallte er sich rettend in seinen Türstock. Na gut, dann eben da rein! Ich schmetterte die Tür zu, Riegel vor und zur Sicherheit noch unser Schloss davor gehängt. Und den Schlüssel bekommt er erst wieder, wenn ich ab sofort mindestens noch eine Stunde in absoluter Stille ausschlafen könnte! …es war muxmäuschenstill! Für gute eineinhalb Stunden. Dann trommelte etwas gegen Holz. Ich hörte es nur aus einer weiten, verschlafenen Ferne. Doch meine Schwester erzählte mir später, sie hätte ihm dann den Schlüssel gebracht, weil er so lange stillgehalten hatte. Und als sie ihm aufsperrte, hing er wie ein Äffchen mit seinen Armen im Fenstergitter zum Flur… Ein bisschen plagte mich jetzt schon das Anstands-Gewissen, jetzt da ich ausgeschlafen hatte. Aber beim Frühstück schmunzelte mich plötzlich ein anderer Gast an und meinte mit beiden Daumen nach oben: „You did very well!“
Es war diese Nacht eine denkbar gute Grundlage für den heutigen, den letzten Radeltag! Wir kamen wieder erst gegen Mittag los und es war bereits brennend heiß. Und es ging bergauf. Google hatte uns auf gute Vierzehnhundert Meter Passhöhe vorbereitet! Der Magen immer noch flau, die Kräfte dahin, da sah ich nur noch eine Rettung: Um Regen beten! Aber es blieb der Himmel strahlend blau! Und es wurde der Weg steiler. Und der Verkehr dichter und aggressiver. Die schwer (ü)be(r)ladenen Laster spuckten rabenschwarze Rußwolken aus den Auspuffen und vernebelten die ohnehin schon staubige Sicht. Sie hupten und sie rasten an uns vorbei wie Wilde! Sie schnitten uns und boxten uns vom Asphaltbelag. Wo hatte er nur aufgehört, der idyllische Highway? Jetzt, da es ins Gebirge vor Katmandu hinaufging, drehten sie irgendwie alle am Rad! Bei dem Gestank konnte ich noch weniger an Essen denken, als die Tage zuvor. Eine halbe Gurke und Vier Äpfel waren die spärliche Tagesbilanz, die mir das Überleben sicherte. Und weiter ging´s hinauf! Bis wir endlich so etwas wie eine Passhöhe erkennen konnten – noch mindestens Dreihundert Höhenmeter in der Zukunft!
Dann dämmerte es. Nicht mir! Sondern um mich herum. Wir waren spät dran! Oder besser gesagt: Wir waren zu spät dran! Viel zu spät! Wir konnten froh sein, wenn wir oben noch bei Helligkeit ankamen. Aber von dort würden es dann immer noch gute Fünfzehn Kilometer bis zum Hostel sein – das schaffen wir nie! Na gut, nehmen wir uns eben nochmal ein Hotel. Wir kämpften und kämpften und kämpften! Alle Viertel Stunde warf ich einen Blick auf den Höhenmeterzähler, der uns motivieren sollte. Und alle halbe Stunde durften wir uns Fünf Minuten Pause gönnen. Mit so einem Plan zieht man sich ein bisschen leichter den Hang hinauf. Aber irgendwann ist einfach jeder Trick einfach nur noch gut gemeint. Der Körper kann dann schlicht nicht mehr!
Doch wir haben´s geschafft! Oben waren wir! Mit Blick auf Katmandu. Und den Sonnenuntergang. Jetzt ging´s erst Mal hinunter. Doch ein Hotel finden? Im Speck-äääh eher Dreckgürtel der Hauptstadt? Das war nämlich alle schon offiziell Katmandu. Aber hier hätten uns keine Zehn Pferde halten können. Die Leute liefen alle mit Mundschutzmasken rum, so böse stank und rauchte der Highway! Und ein nettes Hotel? Vergiß´ es! Irgendwann meinte ich zu meiner Schwester: „Was meinst du, packen wir´s noch bis ins Hostel?“ Das war einmal quer durch den Sumpf am anderen Ende der Stadt! Doch sie nickte: „Jo, wir schaffen das!“ Und wir stiegen in die Eisen!
Mittlerweile war wohl auch unser Expressfax an Petrus eingegangen und das Universum schickte uns den Bearbeitungsstatus: Erledigt! Es regnete in Strömen! Jetzt, da es ohnehin schon frisch war und wir die Abkühlung alles andere als gebrauchen konnten. Es wurde dunkel. Und wir flossen mit dem wahnsinnig gewordenen Feierabendverkehr langsam gen Katmandu-Zentrum: Busse, Taxis, Motorräder überholten uns und scherten knapp vor uns wieder ein. Dazu sahen wir in unseren Rückspiegeln rein gar nichts als grell blendende Scheinwerferlichter. Das war ein Abschluss: Bei Sauwetter nochmal durch eine Großstadt! Und zuvor ein richtiger Pass! Ich war nur heilfroh um mein Navi, das uns zielsicher durch die Windungen der vielspurigen Straßen lotste! Bis es langsam wieder ruhiger wurde um uns herum. Die Autos, Motorräder und Busse verschwanden nach und nach, die Fußgängerschwaden waren durch einzelne Passanten mit hochgezogenen Schultern unter tief heruntergezogenen Regenschirmen ausgetauscht worden. Und es wurde noch dunkler. Keine Straßenbeleuchtung mehr, keine Leuchtreklame. Die Läden versteckten sich alle hinter heruntergelassenen Rolltoren. Jetzt wurde es ruckliger und buckliger. Bis der Asphalt schließlich ganz der Vergangenheit angehörte. Wir steuerten durch tiefe, mit Schlammwasser gefüllte Bodenwellen und Schlaglöcher. Die Straßenflucht wurde enger und enger und dunkler und grusliger. Ich wagte meinen schlimmsten Gedanken nicht zu denken: Was, wenn die Adresse nicht stimmte? Was, wenn das Navi uns völlig falsch lenkt? Und kaum angedacht: „Bitte biegen Sie jetzt links ab!“ Doch links war nur eine lange Mauer! Na bravo! Es regnete in dicke Wollfäden und wir waren beide nass bis auf die Haut! Und jetzt standen wir mitten in der schwarzesten Gegend von Nepals Hauptstadt und kamen nicht mehr weiter? Alles war dunkel, alles war dicht. Kein Auto, kein Passant, kein räudiger Straßenköter mehr!
Da kam ein Lichtstrahl aus der Mauer. Er gehörte zum Scheinwerfer eines Taxis! Also gab es da doch eine Straße? Sie war gerade mal Drei Meter breit und konnte nicht im Navi eingetragen sein! Aber wir nahmen sie trotzdem. Unten, am Ende des kurzen Stichs, ging´s sogar nach rechts weiter, wie von der Navigationsstimme angesagt. Doch der Bollerweg führte uns nirgendwo anders hin als mitten in ein Dickicht und so was wie eine Baustellenzufahrt. Wir mussten absteigen und durch die Drecklöcher schieben. Doch immerhin: Noch ging es weiter, wie im digitalen Plan angezeigt. Und wir kamen tatsächlich wieder auf eine kleine Straße! Doch jetzt drehte das Navi durch! Ich konnte das Display durch die nasse Schutzfolie nicht mehr bedienen. Ich wischte mit den allerbesten Bemühungen, aber es war nichts zu machen: Wir verloren den Faden!
Bis ich die Navigation neu starten konnte, fragte meine Schwester eine Fußgängerin: Hostel? Dormnepal? – Zuckende Schultern. Keiner hatte je davon gehört! Ein bisschen wurde uns jetzt schon bange! Dann endlich kam wenigstens die App zurück: Wir mussten nicht weit weg davon sein – laut eingespeichertem Zielpunkt. Aber irgendwie stimmte durch die dicken Regenwolken die GPS-Funktion nicht mehr so zuverlässig: Die Kompassnadel drehte sich wild im Kreis, mal sollten wir links abbiegen, mal rechts und Ende ging´s nur geradeaus! Wir nahmen einfach alle Straßen, die wir hier nehmen konnten und schließlich hörten wir von meinem Lenkerpullt: „Sie haben Ihr Ziel erreicht!“ Unserr Ziel waren lauter hochverriegelte Gartezäune um dicke Herrenhäuser! Und dahinter prangten strahlende Kronleuchter! Wir waren offenbar weit weg von unserem Ziel….
Da fragte ich in letzter Verzweiflung eine Gruppe Männer, die in ihrem kleinen Laden Karten spielten, ob hier jemand schon etwas von einem Hostel gehört hätte? – Zehn große Augen, keine Antwort. Ich sagte: Dormnepal. Da sprang ein kleines Mädchen auf und zeigte mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinter auf den Kronleuchter. Ich wiederholte: „Das ist ein Hostel?“ – „Ja!“ – „Dormnepal?“ – „Ja!“
Wir klingelten, es bellte, dann kam ein Regenschirm und machte uns das schwere Tor auf. Wir waren tatsächlich da! Es war tatsächlich unser Hostel! Und es gab Licht, es gab eine warme Dusche und es gab weiche, breite Stockbetten. Was für ein Tag, was für ein Nervenkitzel! Unglaublich, aber wir haben´s geschafft! Holariolariolario!
Katmandu (Hostel Dormnepal)
Tages-Km: 55,85km / -Zeit: 5:55h / -Höhenmeter: 1.253m
Gesamt-Km: 9.484km / -Zeit: 659:15h / -Höhenmeter: 86.158m
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